Plan B
Heute mit: Benjamin Steffen
Die Schönheit des Spiels, der Lauf des Lebens
Bänz Friedli hat letzte Woche geschrieben, wir müssten aufpassen, dass uns das Erzählen nicht abhandenkommt.
Also. Hier. Die Geschichte eines quasi kurzen Lebens.
Im Sommer 1986 fand die Fussball-WM in Mexiko statt, er war ein mittelgrosser Bub, und wenn abends Spiele kamen im Fernsehen, durfte er bis zur Pause wach bleiben und Fussball gucken – einmal aber, einmal!, hätte er bis zum Ende schauen dürfen, an einem Samstag, Frankreich – Brasilien, aber nach der ersten Halbzeit langweilte er sich, 1:1, er war müde, ging zu Bett.
Und als er am nächsten Tag hörte, was er verpasst hatte, wie aus dieser Partie ein episches Spiel geworden war, Verlängerung und Penaltyschiessen, Socrates verschossen und Michel Platini ebenso – da schwor er sich, dass er kein Fussball-WM-Spiel mehr freiwillig verpassen würde, ein Leben lang.
Vier Jahre später, wieder eine WM, er spielte selber gerne Fussball, als Torhüter, er hatte es also nicht einfach, «der Goalie bin ig», dachte er sich, zudem half er als einziges Kind seiner Klasse den Deutschen. Aber in schwierigen Momenten sagte ihm seine Mutter, er solle zuerst etwas Anständiges essen, dann sehe die Welt wieder ganz anders aus.
Und so zogen Jahre und Weltmeisterschaften und Joseph Blatter als Fifa-Präsident ins Land, 1994 erlebte der junge Mann erstmals, wie es ist, während eines WM-Spiels vor dem Fernsehen einzuschlafen (Rumänien – Argentinien), im Sommer 1998 sass er mit gerissenen Bändern vor dem TV (nach einem Stürmerfoul), er sah und las und ass und wusste viel, vor allem: dass er Sportjournalist werden und von einer Fussball-WM berichten wollte. Diesem Ziel war fortan alles untergeordnet, Karriere- und Ernährungsplan, er schrieb, wann immer es ging, und wenn es nicht mehr ging, ass er etwas. So auch 2002, die WM weit weg (Japan und Südkorea), der Traum immer näher.
2006: die Erfüllung, die WM als Berichterstatter, alles wunderbar, Dutzende von Texten, Hunderte von Süssigkeiten, die Welt immer wieder anders, Tausende von Zeilen, am Puls, na ja, mehr oder weniger, denn er merkte: wenn dir die Spieler gegenübersitzen, sind sie dir nicht mehr so nahe, wie wenn sie im Fernsehen reden. Zudem: Schweiz – Ukraine… irgendwie wie Frankreich – Brasilien 1986 in der ersten Halbzeit, bloss länger und keine Tore.
2010: Er hatte jetzt einen jungen Hund, der tollte und sprang und jaulte, aber es war WM in Südafrika, und der junge Mann wusste, dass er so lange in Südafrika wäre, wie die Schweizer im Turnier blieben, im ersten Spiel besiegten sie Spanien 1:0, alle sangen: olé, olé, er dachte: o weh.
2014: Er hatte jetzt einen eigenen Garten, in dem Him- und Erd- und Brom- und Johannisbeeren wuchsen und der Hund sich vergnügte, es gab Äpfel, Quitten und Birnen an Bäumen und Kaninchen im Käfig und eigenen Salat aus den schönen Beeten, Zucchetti und Radieschen – und die WM fand in Brasilien statt, in der bezaubernden Wiege des Fussballs, und er fragte sich: Will ich das?
Und drei Jahre später spielten die Schweizer in der Barrage gegen Nordirland, und der Mann wusste: Wenn sich die Schweizer für die WM 2018 qualifizieren, wäre wieder der Teufel los, Schweiz, Schweiz, hurra, Russland, wir kommen. Er war nicht nach Nordirland gereist, und bevor am 9. November das Hinspiel in Belfast losging, legte er sich zu Bett und nahm sich vor, am nächsten Morgen ganz, ganz lange nicht wissen zu wollen, wie das Spiel geendet hatte.
Hier schreiben abwechselnd Bruno Ziauddin, Benno Maggi, Bänz Friedli und Benjamin Steffen.