Ein Tag im Leben
Timea Bacsinszky: Alles mit der linken Hand
Eigentlich bin ich ja immer die Erste, die aus dem Bett steigt. Aber jetzt ist mein Freund meistens früher dran: Er studiert Sportmanagement an der Uni Lausanne und muss rechtzeitig in der Vorlesung sitzen, während mein Tag etwas weniger durchgeplant ist. Das ist so wegen der Verletzung, vor einigen Wochen habe ich mich an der rechten Hand operieren lassen. Fünf Monate lang hatte ich Probleme mit einer Sehne, deshalb musste ich alle Turniere absagen. Aber auch wenn ich es etwas ruhiger nehmen könnte – ich halte es nicht lange alleine aus im Bett. Deshalb stehe ich auf und mache mir einen Latte Macchiato, mit Magermilch und einem Löffel Bio-Honig. Das ist mein Lieblingsgetränk, und weil ich morgens nicht viel essen kann, mache ich mir meistens gleich zwei Tassen davon. Dann setze ich mich hin und gehe auf Twitter. Das tönt jetzt vielleicht blöd, aber Twitter ist für mich die wichtigste Informationsquelle, so lese ich News und halte mich à jour. Danach dusche ich und mache mich bereit für den Tag. Das dauert im Moment etwa drei Mal länger als sonst, ich veranstalte oft ein schreckliches Chaos, bevor ich aus dem Haus gehe. Haare waschen, schminken oder Nägel lackieren, alles mit der linken Hand – man kann sich ja vorstellen, wie das aussieht!
Später, im Training, kommt diese Hand wieder zum Einsatz: Ich spiele 15 Minuten lang Tennis mit links, fürs Gefühl. Danach trainiere ich Kraft, Schnelligkeit und Koordination, bevor ich auf den Tennisplatz zurückkehre, um Beinbewegungen zu üben. Insgesamt trainiere ich im Moment anderthalb bis drei Stunden, aber nicht jeden Tag. Herauszufinden, wie viel Training der Körper während einer Verletzung erträgt, ist nicht einfach. Man muss aufpassen, dass man nicht überbelastet. Mich zu bremsen, fällt mir manchmal schwer: Es tut weh, dass ich nicht einmal einen Bruchteil von dem leisten darf, was ich eigentlich könnte.
Nach dem Training gehe ich nach Hause und koche Mittagessen. Seit der Operation ernähre ich mich sehr bewusst. Mein Freund und ich machen ein Experiment: Wir essen keine Teigwaren mehr, kein Brot, benutzen kaum Milchprodukte. Dafür Quinoa, Linsen, Gemüse, Poulet. Höchstens am Wochenende, wenn wir einen Cheat Day haben, gibt es einmal eine Pizza. Ich fühle mich mega gut dabei, ich habe unglaublich viel Energie.
Das letzte halbe Jahr gab mir generell viel Kraft, die Zeit zu Hause hat mir gut getan. Ich habe Ausflüge mit meiner Familie gemacht, Psychologie-Bücher gelesen, Freundinnen und Freunde zum Kaffee getroffen. Alles Dinge, die in meinem Leben sonst kaum Platz haben. Vom Tennis habe ich mich ziemlich abgekapselt. Ich schaute zwar Chiudinelli bei seinem letzten Match zu oder verfolgte Belindas Comeback. Und Vicky hat mich angerufen, als sie in Lienz gegen eine Spielerin antrat, gegen die ich schon einmal gespielt habe. Aber sonst war die Tenniswelt weit weg. Ich weiss nicht einmal, wo ich im Ranking liege im Moment, es ist mir auch egal. Es dauerte etwas, bis das so war, am Anfang kannst du nicht abschalten, wenn du verletzt bist. Du musst immer wissen, was die anderen gerade machen, wo sie sind und wie sie spielen. Dann kommt der Moment, da atmest du plötzlich wieder. Du merkst: Du hast eine Familie, einen Freund, es geht nicht immer alles nur um dich.
Meine Abende sind meistens nicht sehr fancy. Ich bin mit meinem Freund zu Hause, wir schauen Serien oder einen Film, manchmal treffen wir Freundinnen und Freunde. Zwischen 22 und 23 Uhr bin ich meistens im Bett. Bevor ich einschlafe, gibt es noch etwas Handy-Zeit – et voilà, c’est fini.
Protokoll: Ursina Haller